Mario Venzago er BSO-Dirigent behält bei diffizilen Klangforschungen den Überblick. 35
Mario Venzago und das Berner Symphonieorchester spielen sich mit Moser, Schumann und Brahms vom Heute in die Vergangenheit.
«Kontraste» heisst das Programm. Und man fragt sich, was das heisst. Was nach Konzept klingt, kann wie im jüngsten Abokonzert im Kultur-Casino auch blosse Klammer bedeuten für das Unvereinbare. Mario Venzago hat die Aufgabe, das Ber- ner Symphonieorchester durch ganz unterschiedliche Klangwelten zu führen. Der Chefdirigent tut dies umsichtig, so- dass sich das Orchester auf der Hörstre- cke der Gegenwart in die Vergangenheit zusehends steigert. «Bild-Brechung» des Schweizer Kom- ponisten Roland Moser markiert den Auf- takt. Dass Venzago diese Orchestervaria- tionen 2001 bei der Uraufführung in Basel dirigiert hat, kommt dem Berner Sym- phonieorchester zugute. Die Auseinan- dersetzung mit dem sperrigen Notenma- terial macht es allerdings nicht einfacher. Moser seziert in dieser Auftragsarbeit den Orchesterapparat. Ein Paradox in sich, wenn man bedenkt, dass zeitgenössische Komponisten der Klangmaschine Sinfo- nieorchester oft aus Prinzip skeptisch be- gegnen. Moser, der beim Schlussapplaus ziemlich froh ausschaut über das Resul- tat, unterläuft in dem rund 20-minütigen Œuvre gängige Analyseansätze. Er ver- wendet weder melodische Themen noch rhythmische Muster, die als zeitliche oder räumliche Verortung dienen könnten. Man hört hinein in ein flottierendes Ve- xierbild aus gläsernen und gleissenden, manchmal auch diffusen Farbreizen, die klingen, als würde ein bekanntes Motiv rückwärts gespielt. Venzago behält bei der Klangforschung am lebendigen Or- chesterleib den Überblick und das Berner Symphonieorchester (Konzertmeister: Alexandru Gavrilovici) bei der Stange.
Schumann klingt danach wie vertraute Heimat. Im Dialog mit dem Orchester legt der deutsche Pianist Lars Vogt die Poesie des a-Moll-Klavierkonzerts frei (und zeigt sich auch als Poesie-Zauberer in der cis- Moll-Nocturne von Chopin als Zugabe). Von mozartscher Klarheit ist sein Spiel; vielschichtig und mit Tiefenschärfe sind die Klangschattierungen, die er dem inni- gen, von traumtrunkenen Cellosoli beseel- ten Mittelteil angedeihen lässt. Einzig bei den langsamen Tempi scheinen sich Solist und Orchester nicht ganz einig. Da bricht gelegentlich der Spannungsbogen ein, und der leichte Fluss kommt ins Stocken. Der Höhepunkt des Abends bildet die vierte Symphonie von Brahms. Eine in- tensive, grossräumige und gleichwohl dif- ferenzierte Klanglandschaft breitet das Berner Symphonieorchester hier aus, in der die Bläsergruppen und später die Celli sich mit eindringlichen Unisoni ex- ponieren. Expressive Sehnsuchtsmotive nimmt man entgegen, wogende Triolenli- nien und – im 2. Satz – die bittere Süsse des phrygischen Moll. Nach dem burlesken Scherzo mit lich- tem Triangelglanz bündelt Venzago im Schlusssatz noch einmal die Kräfte und steuert das Orchester mit mächtigen Ges- ten zum grossen Finale, eine beeindru- ckende Orchesterleistung.
Bund Bern 31.03.2012